Audiophile

Ausgabe 01/2002

Vorstufe Quad QC twentyfour
Mono-Endstufen Quad II forty
Lautsprecher Quad ESL989

Quad is beautiful

Mit neuen Besitzern und neuen Entwicklern setzt der traditionsreichste englische HiFi-Hersteller voll auf alte Stärken. Bei dieser Kette können Sie das Firmenmotto wörtlich nehmen:

"The closest approach to the original sound."

Würde die bei Quad gepflegte Modellpolitik Schule machen, könnte die gesamte HiFi-Fachpresse getrost auf jährliche Erscheinungsweise umstellen. Seit Firmengründer Peter Walker 1957 seinen - erst später ESL 57 getauften - „Electrostatic Loudspeaker" vorstellte, hat der Flachmann aus Huntingdon gerade mal zwei weitere Evolutionsschritte durchgemacht: 1981 zum ESL 63 (Arbeitstitel: FRED), und nun, abermals zwei Jahrzehnte später, zum Modellpaar 989/988.

Wenn der wegen seiner Neutralität und Transparenz von Aufnahmeprofis wie Musikkonsumenten gleichermaßen geschätzte Klassiker ESL 63 gleich zwei Nachfolger bekommt, ist dies schon Ereignis genug. Doch als wollte sich die chinesische International Audio Group, seit 1996 Besitzerin von Quad, bei den Fans für die lange Produkt-Dürre seit Mitte der 90er entschuldigen, hat sie nun auch noch eine wunderbare, komplett röhrenbestückte Verstärkerkombi nachgeschoben.

Auch die Firmenphilosophie hat eine interessante Wandlung erfahren: Vom strikt wissenschaftlichen Pragmatismus, mit dem Vater und Sohn Walker jahrzehntelang Distanz zur High-End-Szene hielten (und vielleicht gerade deshalb von ihr vergöttert wurden), hin zum diskreten Einsatz „audiophiler" Komponenten in den neuen ESLs. Und hin zu einer Entwicklerpersönlichkeit wie Andy Grove, einem Röhren- und Übertrager-Meister, dessen Know-how schon in vielen erlauchten High-End-Geräten steckt, etwa in jenen von Audio Note.

Am Grundprinzip der Quad-Elektrostaten hat sich dagegen nichts geändert. Eine hauchdünne, leitfähig gemachte Mylar-Folie zwischen zwei Elektrodengittern dient als Membran. Das Netzteil im Fuß der Lautsprecher gibt den Elektroden gegenüber der Folie eine Vorspannung von einigen Kilovolt. Das durch einen Übertrager hochtransformierte Musiksignal moduliert diese Spannung geringfügig und variiert so die Anziehungskraft zwischen Gitter und Folie. Dieser Antrieb wirkt beim 989 nicht homogen über die ganze Membranfläche, sondern segmentweise. Die Segmente haben die Form konzentrischer Ringe und werden zeitversetzt angeregt - innen zuerst, dann geht's mit jeweils einigen Mikrosekunden Verzögerung weiter nach außen. Durch diesen Kunstgriff gelang es Peter Walker schon beim ESL 63, das von frequenzabhängigen Auslöschungen und extremer Richtwirkung geprägte Abstrahlverhalten großer Flächenstrahler dem einer idealisierten Dipol-Punktschallquelle zumindest ein Stück weit anzunähern.

In der Tat lassen sich Quad-ESLs problemlos auch von zwei nebeneinander sitzenden Hörern genießen. Die phänomenale Raumzeichnung, die - um das vorwegzunehmen - auch die 989 boten, gibt's hier ohne Genickstarre und ohne Kampf um den Sitzplatz im Sweet Spot. Während das Schwestermodell 988 in seinen Abmessungen dem Vorgänger ESL 63 gleicht, baut der 989 fast 40 Zentimeter höher und bietet entsprechend mehr Membranfläche, die vor allem Basswiedergabe und Pegelfestigkeit zugute kommen soll. Hübscher wird der schlichte schwarze Monolith, der nicht ohne Grund erst auf der übernächsten Seite abgebildet ist, dadurch allerdings nicht.


Hinter Gittern: Der CE-gerechte Schutzkäfig ist Geschmackssache. Die roten Zylinder sind keine Elkos, sondern Eingangsröhren (6SH7) mit Alu-Mantel.

Schönheitskonkurrenzen kann dagegen die Kombination aus QC twenty four und Quad II forty gewinnen, jenes eingangs erwähnte bezaubernde Vor-Endstufen-Gespann, dessen Design den Linien der legendären Quad-II/22-Kombi aus den 50er / 60er Jahren nachempfunden ist. Von Mono-Endstufe Quad II ist auch die Grundschaltung weitgehend erhalten geblieben, allerdings hat Andy Grove sie - mit Rücksicht auf moderne Leistungsanforderungen im Allgemeinen und die der 989er im Besonderen - deutlich größer dimensioniert. Statt der in den klassischen Zweiern eingesetzten KT-66-Leistungspentoden glimmt auf dem Oberdeck der II forty ein kräftiges Pärchen KT 88. Alle anderen Bauteile inklusive des Chassis sind entsprechend mitgewachsen, weshalb die II forty wie eine maßstabgerechte Vergrößerung der alten Quad II - allerdings in wesentlich soliderer Verarbeitung und mit einem Finish, von dem Besitzer alter Quads nicht einmal zu träumen wagen.


Moderner Klassiker: Der QC twenty four ist eine komplette Neuentwicklung. Trotz allem Purismus ist wenigstens der Balance-Schieber unterm Lautstärkeknopf erhalten geblieben - für perfekte Raumwiedergabe ein unverzichtbares Korrektur-Element.

Ohne schaltungstechnisches Vorbild in der Quad-Familie kommt die ebenfalls in dezentem Bronzemetallic handlackierte QC twenty four aus. Diese kompakte Vorstufe verwaltet via Siemens-Relais fünf Line-Eingänge plus zwei Tape-Schleifen, als Option gibt es ein zusteckbares Phono-Modul. Der Signalweg ist denkbar direkt, die komplizierten Klangregel-Netzwerke der alten Quad- Preamps hat Grove über Bord geworfen. Einziges aktives Bauelement im QC ist eine winzige, aber extrem langlebige Miniatur-Doppeltriode vom Typ 6111 WA. Für sehr lange und/oder hochkapazitive Kabel zu den Endstufen ist dieses minimalistische Ein-Röhren-Konzept mit seinem hohen Ausgangswiderstand (1950 Ohm) nicht eben prädestiniert. Die II-forty sollten also in der Nähe der QC twenty four bleiben und nicht irgendwo weit weg bei den Lautsprechern stehen, was wegen der bestechenden optischen Gesamtwirkung des Dreier-Sets ohnehin ein Stilbruch wäre.

Bei der Platzierung der Elektrostaten sollte der Innenarchitekt dann besser beurlaubt werden - echte Dipolstrahler wie die 989 haben ihre ganz eigenen Bedürfnisse, die sich von denen normaler Lautsprecher stark unterscheiden, und die auch nicht immer mit dem durchschnittlichen Einrichtungsgeschmack konform gehen. In meinem Hörraum, einem länglichen 30 Quadratmeter Zimmer, standen die ESLs relativ eng beieinander (1,6 Meter Basisbreite) und ziemlich genau auf der gedachten Linie, die den Raum im Verhältnis 1:2 teilt. Also ein Drittel der Raumlänge hinter den Boxen, zwei Drittel davor. Entscheidend war ein ausreichend großer Abstand zur Rückwand, im beschriebenen Fall etwas über zwei Meter.

Wer mit Lautsprechern mitten im Raum nicht leben kann oder will, wird wohl auf die Quads verzichten müssen - und leider auch nie herausfinden, was diese ansonsten völlig allürenfreie Kette zu leisten vermag. In den eigenen vier Wänden habe ich jedenfalls nie zuvor auch nur annähernd so gut Musik gehört. Selbst in den Redaktions-Hörräumen brauchte es schon sehr teures Referenz-Equipment, um die Performance dieses britischen Gesamtkunstwerks wenigstens zu relativieren.

Die Schwächen der Quad-Kette sind schnell aufgezählt: Der ESL ist nicht der pegelfesteste Lautsprecher seiner Preisklasse. Am nächsten Morgen kann man sich meist nicht dran erinnern, aber der ESL hat eine Schutzschaltung, die Headbanger zur Ordnung ruft, bevor ernsthafte Schäden drohen. Eine große B & W geht also lauter, viele andere High-End-Lautsprecher tun das aber nicht. Bei Drum'n'Bass-Platten, die ihre Energie aus dem Spannungsfeld zwischen eiserner Beat-Disziplin und mitunter monströser Bass-Willkür gewinnen, ahnt man auch, dass es rhythmisch treibendere, heißblütigere Konstruktionen gibt. Eine große Naim kickt da schon härter. Das waren die Schwächen.

Wollte ich auf die Stärken dieser Kette detailliert eingehen, könnte ich wohl ein Sonderheft füllen. Jede der rund 100 Platten, die in den letzten zwei Wochen auf meinem treuen Linn (LP 12 auf Mana Reference Shelf, mit Lingo-Netzteil, Ekos-Tonarm und dem in Audiophile 4/01 getesteten Zyx Fuji Silver) rotierte, verblüffte mich aufs Neue mit einer Intensität, einer Mischung aus Echtheit und überwältigender Schönheit, von der ich bislang dachte, sie sei nur mit illegalen Mitteln zu erreichen.

Das psychedelische Potenzial der Elektrostaten liegt in ihrer Fähigkeit begründet, während der Wiedergabe völlig aus dem akustischen Geschehen zu verschwinden. Es ist, als würden die Luftmoleküle aus eigenem Antrieb heraus beschließen, sich irgendwo im Raum zu einer Stimme, einer Gitarre, einem Kontrabass oder einem Drumcomputer zusammenzuballen. Mal, etwa bei alten, dokumentarischen FolkLive-Aufnahmen des Vanguard-Labels, spielte die Musik in einem Raum weit hinter der Boxenebene: ein gestochen scharfes, nach Holz und rostigen Nägeln riechendes Schwarzweiß-Foto aus der Vergangenheit. Ein anderes Mal saßen die Interpreten dem Zuhörer auf dem Schoß, es regnete Feuerwerk, Wein und reife Früchte. Und die ESLs standen mittendrin im Spektakel wie unschuldige Scheunentore. Hier über Abbildung nachzudenken, ist der beste Weg, ebendiese verschwinden zu lassen. Raum entsteht im Gehirn des Hörers ohne dessen aktives Zutun, wenn die Ohren einen geeigneten Input bekommen. Dimmen Sie das Licht. Denken Sie an was Schönes. Nicht an die drei Platten, die auch über die Quad-Kette flach und blass klangen. Die sind dann durch nichts auf der Welt zu retten.

Auch andere HiFi-Kriterien scheinen auf die Quads nicht anwendbar zu sein. Es gibt beispielsweise keinen Hochtonbereich. Er existiert einfach nicht in isolierter Form. Die 989 präsentierten die Musik wie aus einem Guss, so bruchlos, dass selbst ausgefeilteste Zweiwege-Systeme dagegen krude und zusammengeschustert klangen. Das hochfrequente Wirken der Elektrostaten lässt sich nur indirekt beweisen: Woher sollen sonst die - trotz eines eher dunkel-samtigen tonalen Grundeindrucks - unfassbar vielfältig strahlenden Klangfarben kommen, die pfeilschnell aufgelösten, fast schwerelos im Raum baumelnden Becken, die Sänger, deren Atem einem wohlige Schauer über den Rücken jagt?

Die neuen ESLs spielen bei vergleichbarer Transparenz deutlich breitbandiger als ihre Vorgänger. Ihre steifere Rahmenkonstruktion hat sie auch in puncto Rock- und Rhythmustauglichkeit auf Vordermann gebracht. Was zum vollendeten Glück fehlt, ist ein wirklich großer Raum; die perfekten Verstärker liefert Quad gleich mit. Alle Beschreibungen auf diesen Seiten basieren auf dem Klang der Komplettkette. Diverse Fremd-Amps, ob Röhre oder Transistor, konnten es in diesem Kontext nicht ansatzweise mit den lupenrein-elegant, dabei gleichzeitig enorm kräftig spielenden Monoblöcken Quad II forty aufnehmen.

Kabel? Ja, von Audio Note (AN-A als NFund AN-SPe als Lautsprecherkabel). Weiteres Zubehör? Himmel, nein! Wer unbedingt will, kann unter die neuen ESLs jetzt (Tusch!) Spikes schrauben. Verbesserungspotenzial? Jetzt, wo Sie fragen... Ach ja, ich bräuchte dringend einen bequemeren Hörsessel. Und sonst gar nichts.